Meinen Kindern und Freunden (1955 – 1956)

Russische Quellen
https://azbyka.ru/otechnik/Sergej_Fudel/moim-druzjam-i-detjam/
https://predanie.ru/fudel-sergey-iosifovich/moim-detyam-i-druzyam/
Einzelausgabe: У стен Церкви. Моим детям и друзьям (Moskau 2012, 272 S.)
Dreibändige Werkausgabe (Hg: Erzpr. N. V. Balaschow, L. I. Saraskina): Bd. I (Moskau 2001, S. 229 — 262)
Nicht in Deutsch verfügbar.
Inhalt
In diesem relativ kurzen Text stellt sich Sergej Fudel selbst Fragen, die jeden bewegen, der heute den christlichen Weg verfolgt: Wie findet man den „schmalen Pfad“, wie hält man das Weltlche auf Distanz, wo findet man rettendes lebendiges Wissen um die eigene Erlösung, und was braucht man, um vom Seelischen zum Geistlichen und weiter in das Königreich Gottes zu gelangen? Er teilt seine Lebensbeobachtungen und Einsichten über diesen geistlichen Weg. Der Text ist voller Zitate und enthält Begebenheiten aus eigener Erfahrung, was ihn zu einer lehrreichen und inspirierenden Lektüre für jeden macht, der den Weg zu Glauben und Gott sucht.
Auszüge
10
(…) Ein deutscher Dichter hat Verse über den Bibeltext zu Jakob geschrieben. Hier sind sie, in Prosa übersetzt:
Du allein sollst Aug in Aug und Nacht für Nacht
mit deinem Gotte ringen.
Und dringt Sein erster Sonnenstrahl durch deiner Seele Finsternis,
so lass Ihn nicht gehen,
oh, lasse Ihn nur nicht,
Er segne dich denn.
Der Übergang in das Königreich Gottes muss eng sein, das heißt Anstrengung fordern, und die Akzeptanz dieser „Enge“ des Glaubensaktes bildet den Beginn für unsere Erhaltung und Bewahrung jener Gnade, die uns der Glaube schenkt. Ich erinnere mich an einen grauen Wintertag. Mit einer Moskauer Bekannten, einer gebildeten und zugleich kirchlich aktiven Frau, gehe ich durch das heilige Tor der Lawra. Aus irgendeinem Grund üben Klostertore immer besondere Wirkung auf einen Menschen aus – vielleicht beginnt dort die „Berührung mit anderen Welten“, wie Dostojewski sagte – ein Übergang! Neben anderen Bildern und Inschriften erinnere ich mich dort an die slawischen Worte: „Geht hinein durch das enge Tor“ (Mt 7,13). Am selben Abend sagte mein Bekannte zu mir: „Weißt du, erst heute habe ich zum ersten Mal dieses ‚enge Tor‘ verspürt und verstanden.“ So ist es auch bei uns: Manchmal wird der Mensch erst gegen Ende des Lebens verstehen oder erahnen, wo dieser Übergang zu Gott ist, wo die Bedingung für die Bewahrung des Glaubens liegt. Die Inschrift fand sich in einem Kloster, bei dem wir nicht Zuflucht suchten, und die Worte waren aus dem Evangelium, dessen Gebote wir ebenfalls den Mönchen überließen.
Deshalb ist es so wichtig, keine Angst vor dem Bewusstsein zu haben, dass jeder Christ – und nicht nur ein Mönch – inok ist, Abgetrennter, Mensch eines anderen Reiches – eines Königreichs, das nicht von dieser Welt ist.
Wenn wir die Gläubigen nicht in Mönche und Nicht-Mönche einteilen würden, wenn wir uns unter dem einzigen, ewig blauen Himmel des frühen Christentums befänden, als es diese Einteilung noch nicht gab, welche große Hilfe könnten wir dann – neben der direkten Führung durch die apostolischen Worte des Neuen Testaments – aus den Anweisungen eben dieser Mönche ziehen, die wir von uns selbst abtrennen. Wenn der Mensch den schmalen Pfad betritt, begibt er sich in einen „unsichtbaren Kampf“; er muss sich wie ein Krieger mit den Anweisungen jener weisen Männer Gottes wappnen, die das Ende des Pfades bereits erreicht haben. Wir haben die stärkste Waffe für den „Kampf“ – ihre geistlichen Worte.
Gerade jetzt, in diesem Moment, da mich unverhofft Verzweiflung überfiel bei dem Gedanken, dass ich doch selbst nichts tue und zugleich belehre, fand ich – wahrscheinlich, um nicht aus Verzweiflung kraftlos zu werden – diese Stelle bei Abba Jesaja:
„Wir stehen vor zwei Wegen: dem Weg des Lebens und dem Weg des Todes. Wer nach dem einen geht, geht nicht nach dem anderen. Wer mal den einen, mal den anderen Weg geht, gehört letztlich keinem der beiden Wege an, weder dem, der zum Königreich führt, noch dem, der in die Qual führt. Wenn er stirbt, dann obliegt das Gericht über ihn dem einen Gott, Dessen Barmherzigkeit unaussprechlich ist.“
Gott! Hab Erbarmen mit uns allen!
