Quintessenz (1976/77)

Russische Quellen
https://azbyka.ru/otechnik/Sergej_Fudel/itog-vsego/
Einzelausgabe: Церковь верных (Moskau 2012, 208 S.)
Dreibändige Werkausgabe (Hg: Erzpr. N. V. Balaschow, L. I. Saraskina): Bd. II (Moskau 2003, S. 397 – 400)
Inhalt
Dieser kurze Text ist nicht datiert und in der von Sergej Fudel 1976 selbst erstellten Liste seiner Werke nicht enthalten. Aufgrund der Art der Abfassung und der Handschrift wird vermutet, dass es sich um einen Text handelt, den er erst kurz vor seinem Tod verfasst hat (WA II S. 433).
Volltext
„Wenn jemand“, schreibt Makarios der Große, „um des Herrn willen dieser Welt entsagt, den weltlichen Vergnügungen entsagt … (aber) statt weltlicher Ruhe in sich nicht die göttliche Ruhe erlangt, wenn er statt vergänglicher Vergnügung nicht geistliche Labsal in seiner Seele empfindet, statt der sichtbaren Freude dieser Welt nicht den Trost der himmlischen Gnade inwendig in sich aufnimmt – dann ist er taubes Salz geworden, ist bemitleidenswerter als alle Menschen: Er ist der Dinge dieser Welt beraubt, und er hat das Göttliche nicht genossen, das heißt, er hat nicht durch das Wirken des Geistes in seinem inneren Menschen die göttlichen Mysterien erkannt.“
Ich habe diese erstaunlichen Worte viele Male gelesen, ich habe sie mehrmals in meine Werke aufgenommen, und auch hier kann ich nicht umhin, sie zu wiederholen, ich kann mich nicht von ihrer Tiefe losreißen.
Es gibt für jede kirchliche Epoche Worte, die ihr besonders notwendig sind. Die obigen Worte werden in unserer kirchlichen Epoche gebraucht wie bloße Luft zum Atmen, wie eine Ampel, die im Dunkel der Geschichte als einzige grün leuchtet.
Das Christentum kann ohne die Inspiration des Heiligen Geistes nicht mehr existieren, wir können nicht mehr anders Luft bekommen als im Gespür für Seine geisttragende Führung, der wir uns wirklich bewusst sind. Wir haben die Nase voll von Formalismus aller Art. In der Vergangenheit glaubte man, dass man noch kein wahrer Christ ist, solange man nicht Mönch wird, und als die Heiligen sagten, dass „es nicht die Kleidung oder gar die Weihe ist, die einen Mönch ausmacht, sondern die göttliche Sehnsucht danach und ein himmlischer (d. h. gerechter) Lebenswandel“, antwortete man, dies sei „hochtrabend, wir aber sind demütig“. Die gleiche formale Auffassung von Christentum ist nunmehr der Wunsch, es als Soziallehre zu etablieren, als eine Organisation mit dem Ziel des sozialen Heils der Welt. Die Freude des Heiligen Geistes und Seine Liebe werden wir hier ebenso wenig finden, wie wir auch Freude und Liebe nicht fanden, als wir in den Akathistoshymnen freudlos hundertvierundvierzigmal hintereinander das Wort „Freuet euch“ wiederholten. Alles ist tot ohne den Heiligen Geist. Nach der Lehre der Heiligen offenbart Sich der Heilige Geist wahrnehmbar nur nach dem Maße der Erfüllung der Gebote: Wer den Willen Christi nicht erfüllt, dem wird auch Jener Sich nicht offenbaren.
Aber wir haben uns bereits über die Gebote des Evangeliums hinweggesetzt: Sie sagen, dass wir unsere Feinde lieben und ihre Schläge ertragen sollen, das aber ist unvereinbar mit gesellschaftlichen Aufgaben und lenkt nur ab von unserer egoerfüllten Selbsterlösung. Wir gaben uns asketisch und fasteten und vergaßen dabei die aufopfernde Liebe Christi, die ohne den Heiligen Geist unzugänglich bleibt, denn Dieser war, wie die Heiligen sagten, der „Zeuge der Leiden Jesu“. Wenn, wie der Apostel sagte, niemand Jesus Herrn nennen kann als nur im Heiligen Geist (1 Kor 12,3) – wie können wir uns dann dem Geheimnis und der Kraft von Golgatha, seiner Liebe, ohne Diesen nähern? Aber gerade außerhalb von Golgatha, oder unter Umgehung Golgathas, wollen wir ein neues, „nicht-archaisches“ Christentum errichten, berufen zur Lösung des sozialen Problems. „Wir sind des Mystizismus und des Dostojewski müde“, sagen wir, „das hat sich im Atomzeitalter überlebt.“ Jesus Christus, sagte der Apostel, ist Derselbe gestern und heute und auch in Ewigkeit (Hebr 13,8).
Die Jünger aber wurden voll Freude und Heiligen Geistes, heißt es in der Apostelgeschichte über die ersten Christen (Apg 13,52), also über die Menschen, die in Erwartung von Verfolgung, Folter und Tod leben mussten. Und als wir all dies erkannten, erkannten wir, dass wir ohne diese Freude des Geistes nicht mehr leben können, die unsere Herzen sowohl auf Golgatha als auch auf die Auferstehung vorbereitet. Diese Freude des Geistes ist stets noch dieselbe – gestern und heute, und auch im Atomzeitalter, denn es ist immer noch die gleiche wirkliche Gemeinschaft, hier schon auf Erden, mit dem göttlichen Lebens und der Unvergänglichkeit. Wir müssen sie suchen, müssen an ihrer Abwesenheit leiden; wir müssen sie neu entfachen, diese Gemeinschaft des Geistes, durch das asketische Werk des Lebens. Den Geist dämpft nicht, ist uns geboten (1. Thess 5,19). Ja, wir sind Sünder, ja, wir sind keine Heiligen, aber gerade wenn wir uns unserer Sündhaftigkeit bewusst sind, müssen wir die spürbare Führung Gottes suchen. Und wir müssen dabei mutig sein, denn wir wissen, dass dies zu suchen bedeutet, gleichzeitig die Erfüllung der Gebote zu suchen, denn nur durch podvig, durch die Tat, wird die Gnade des Geistes offenbart. Seid getrost, denn Ich habe die Welt überwunden (Joh 16,33). Es ist nicht mehr möglich, in der toten Wüste der Nicht-Geistlichkeit zu leben, in der man Gott im Herzen nicht hört. Also muss in uns die Lobeshymne für den Herrn wahrnehmbar werden, das Gefühl, Seinen Weg wirklich zu erkennen. „Das Lied des Herrn, der Weg des Herrn!“ – sagt das Herz und erkennt sich in ihnen, erkennt und sieht seinen Erretter.
Ich sah den Herrn allezeit vor mir, denn Er ist zu meiner Rechten, dass ich nicht wanke. Darum freute sich mein Herz, und meine Zunge frohlockte; zudem wird auch mein Fleisch auf Hoffnung ruhen (Apg 2,25-26). Diese Worte sprach Petrus zu jener Menge von Menschen, die bereit waren, die ersten Christen zu werden. Genauso stehen wir, die letzten Christen der Geschichte, vor Gott und müssen „Ihn sehen“, um „nicht zu wanken“, damit unsere „Zunge frohlocke“ im Angesicht der Morgenröte des Geistes, in der sich die ganze Unverfälschtheit des Christentums offenbart und erkannt wird.

